REDE ZUR ERÖFFNUNG DER AUSSTELLUNG STUDIO 100 VON PROF. KARL SCHAWELKA
Am 4. April 2019 im Gaswerk Weimar
Wir erleben gerade den Prozess der Erfindung einer Tradition. Es gibt eine Schwemme von Ausstellungen zum Bauhaus, der sich keine auch noch so untergeordnete kulturelle Einrichtung entziehen kann. Uns Deutschen tut es wohl, uns mit etwas zu identifizieren auf das wir stolz sein können. Wir sind Bauhaus und wir sind gut! Unverdrossen verleiben wir das Bauhaus unserem kulturellen Stammbaum ein im festen Glauben, dass wir damals auf der richtigen Seite gestanden wären. Gegen diesen durch nichts zu erschütternden Willen zur Verklärung kommt man mit historischen Fakten nicht an. Niemand will hören, dass das Bauhaus mit allen seinen bewunderungswürdigen Leistungen auch irrational war, in manchem falsch lag, dass breite Kreise der Bevölkerung es ablehnten und seine Bedeutung für die Weimarer Republik nicht im Entferntesten so groß war wie man aufgrund der Jubiläumsfeiern meinen könnte.
Die heutige Veranstaltung fällt da wohltuend aus dem Rahmen. In ihr geht es nicht um eine Beweihräucherung, sondern darum, im Sinne des il faut être de son temps sich der Gegenwart zu stellen und den Abstand der Werke der heutigen Generation zu den damaligen Designklassikern nicht allein in formaler Hinsicht, sondern vor allem im Konzept zu verdeutlichen. Dabei liefert das alte Bauhaus zwar den Maßstab im Hinterkopf, aber es wird auch einer kritischen Würdigung unterzogen. Was vom alten Bauhaus ist noch zeitgemäß, was wurde modifiziert, wovon hat man sich verabschiedet? Unausgesprochen treten die hier gezeigten Leistungen in Beziehung zu den damaligen, wenn nicht die Künstler sogar explizit den Vergleich suchen. Dies geschieht allerdings meist mit ironischen Mitteln.
Das „Bauhaus Studio 100“, dessen dritten Veranstaltungsblock von sieben wir gerade eröffnen, zeigt in 100 Tagen an verschiedenen Veranstaltungsorten 100 Akteure, d.h. Künstler, Designer, Gestalter, Architekten, Ingenieure, Performancekünstler und Musiker, die an der Bauhaus Universität bzw. an der Fakultät Kunst und Design studiert haben oder noch studieren. Initiator und Organisator ist der Designer HP Großmann, während die Designerin Canan Yilmaz gemeinsam mit Prof. Wolfgang Sattler und unterstützt von Stefan Kraus die künstlerische Leitung innehaben. Zu den Partnern gehören unter anderem das Pratt Institute in Brooklyn und das Archiv der HFG Ulm. Es gab eine Ausschreibung im Netz gefolgt von der Auswahl der Künstler von denen etwa 40 heute hier vertreten sind. Die Werke umfassen nicht nur freie und angewandte Künste, sondern im Sinne der Postmedialität auch Gattungen wie multimediale Installationen, Video und Hörspiel.
Wir erwarten natürlich, dass eine Fakultät für Kunst und Design die Kreativität ihrer Studierenden gefördert hat und fördert, sowie dass die präsentierte Auswahl von Werken aus 25 Jahren uns gerade in dieser Hinsicht überzeugt. Menschen suchen stets nach Neuem, neue Gesichter, neue Objekte und Prozesse, neue Herausforderungen. Diese biologisch fundierte Neugier dient dazu, frisch auftauchende, unbekannte Probleme bewältigen zu können. Neues mag ängstigen oder erfreuen, es weckt jedenfalls Emotionen. Neu allein reicht aber nicht, es muss auch nützlich oder schön für jemand sein. Erst dann kann es als kreativ gelten. Ich werde darauf zurückkommen.
Die Veranstaltungsorte des „Bauhaus Studio 100“ wie die „Kunsthalle Harry Graf Kessler“ oder demnächst die „Neufert-Box“ in Gelmeroda sowie die ehemalige „Hochschule für Gestaltung“ in Ulm haben sämtlich einen gewissen Bezug sei es zum alten Bauhaus oder der Bauhaus-Universität Weimar. Dies gilt auch für den heutigen Ausstellungsort. Der damalige Student der Fakultät Gestaltung und jetzige Diplomdesigner HP Großmann hat die Industriebrache Gaswerk 1996 entdeckt, als er einen Ort für seine Metallwerkstatt suchte und einen Vertrag mit der Stadt schließen konnte, woraus später die „Gaswerk Design und Projektwerkstatt“ hervorgegangen ist. Das inzwischen teilweise renovierte und umgebaute Gebäudeensemble mit Uhrenhaus und Wasserturm beherbergt mittlerweile ein Videostudio, Musikstudio, mehrere Computer-Ateliers und ein Fotolabor sowie mehrere Werkstätten, Ausstellungshallen, Büroräume und das Freigelände auf dem übrigens auch zwei Arbeiten der heutigen Ausstellung zu sehen sind.
In der „Gaswerk Design und Projektwerkstatt“ können und sollen sich sämtliche Medien und Gattungen der bildenden Kunst, aber auch Film, Video, Musik und Performances und auch Literatur vermischen. Es gab und gibt Feste, die den berühmten Bauhausfesten gleichkommen und alle möglichen weiteren interessanten Veranstaltungen. Kurz: es handelt sich um einen Synergien produzierenden Raum des Miteinanders, des Austauschs und der Interdisziplinarität. Der Ort ist wie geschaffen für diesen Zweck, da er nicht einschüchternd und beengend wirkt. Wer eine Wand streichen oder einen Nagel in die Wand schlagen will, kann es tun. Man braucht an Kunstschulen auch Provisorien, die größere Freiräume zulassen. Umso wichtiger ist ein Ort wie das Gaswerk, wo Start-ups sich ansiedeln können, Diplomverteidigungen abgenommen wurden und Projektpräsentationen und Ausstellungen aller Art stattgefunden haben, der als Uni-Partner, wie jetzt wieder, eine wechselseitige Symbiose gewährleistet.
Ich will ihre Aufmerksamkeit auf einen besonderen Aspekt der heutigen Präsentation lenken, nämlich den Einfluss des Ortes im Sinne eines framing d.h. des nicht allein formalen, sondern auch sozialpsychologischen Rahmens auf die gezeigten Werke und ihre Rezeption. Das Gaswerk ist ein Ort wo Kreative arbeiten, also ein Ort wo die Kunst entsteht. Die Werke werden hier nicht museal, d.h. isoliert von ihrem Entstehungszusammenhang, inszeniert, sondern eher so wie die Künstler sie während der Herstellung in ihren Studios sahen. Wir können ihnen sozusagen über die Schulter gucken. Das Ausstellungsdesign stammt übrigens von HP Großmann und Canan Yilmaz.
Warum haben wir an der Fakultät Kunst und Design nicht, wie viele gutmeinende Weimarer es erwarteten, zur Steigerung der Kreativität einfach die berühmte Bauhauspädagogik, d.h. den Grundkurs Ittens fortgeführt, und üben rhythmisches Zeichnen, machen Atemübungen, schließen uns der Mazdaznanlehre an oder verlangen, dass das Quadrat rot zu sein hat, der Kreis blau und das Dreieck gelb? Warum sind die Mittel der Vorschulerziehung, die damals an Hochschulen radikal waren, inzwischen obsolet? Ich will mich nicht über das alte Bauhaus lustig machen: Es handelte sich um eine Art Gehirnwäsche, um einen radikalen Bruch mit dem Nachahmungsdiktat der alten akademischen Ausbildung. Nach der Katastrophe des 1. Weltkriegs war nur eines klar: So wie es war, darf es nicht bleiben! Daraus folgte eine geradezu aggressive Geschichtsfeindlichkeit: Vergesst alles, was ihr gelernt habt! Schließlich wurde für die damalige Zeit bahnbrechend das Denken in den alten, festgefahrenen Schablonen abgeschafft.
Die Probleme, die das alte Bauhaus zu lösen suchte, sind jedoch grundverschieden von unserer Situation und unseren drängenden Problemen. Das Bauhaus war getragen von einer sozialen Gesinnung. Man wollte eine neue Architektur schaffen, die die darin lebenden Menschen erziehen würde und damit zu einer Verbesserung der Welt beitragen. Man wollte die Industrieprodukte vermenschlichen. Anständige Gebrauchsgegenstände sollten dazu dienen in denen im Hinblick auf die neuen Herstellungsprozesse alles Überflüssige abgestreift wurde. Diese Produkte sahen maschinenartig aus und wollten so aussehen. Man näherte also den Menschen den Industrieprodukten an, nicht umgekehrt und unterwarf ihn sogar einem ähnlichen Formalismus, wenn sie etwa an Schlemmers roboterhafte Figuren denken. Inzwischen sind aber auch die Defizite dieses Ansatzes deutlich geworden und wir halten nach schmerzlichen Erfahrungen den das Bauhaus beflügelnden Glauben an die Kraft des Designs einen neuen Menschen hervorzubringen für hoffnungslos überzogen.
Die Kreativtechnik des Bauhauses bestand im Wesentlichen darin, ein komplexes Gebilde zu zerbrechen und in seine geometrischen Grundbausteine zu zerlegen. Diese Bestandteile konnte man dann neu kombinieren und aus den jedermann verständlichen Grundfarben und Formen, aus Kreisen, Dreiecken und Quadraten, aus Materialien wie Glas, Beton und Metall Stühle, Lampen oder auch eine Kinderwiege zusammenbauen. Bei allen bewundernswerten Leistungen muss man aber festhalten, dass viele menschliche psychologische Bedürfnisse dabei zu kurz kamen und komplexe Sachverhalte zu sehr reduziert wurden, so dass der Vorwurf des Formalismus nicht immer unverdient ist.
Die Nachahmungen der Bauhauspädagogik, die es in den 50er Jahren zumindest in den westlichen Kunstschulen fast überall gab, waren eher wenig erfolgreich. Als das Bauhaus mainstream wurde, hat es lediglich eine neue Form von Akademismus hervorgebracht. Was Kreativität ausmacht und die Methoden sie zu befördern stehen nicht ein für alle Mal fest, sondern hängen stark von der historischen und kulturellen Situation ab und auch vom Stand des Gebiets in dem sie sich bewähren müssen. Selbst ein Denken außerhalb des Schubladendenkens reagiert noch auf die jeweils zu vermeidenden Schubladen.
Die Fakultät Gestaltung bzw. Kunst und Design, die 1993 ebenfalls in einer Umbruchszeit gegründet wurde, hat mit dem Weimarer Modell des Projektstudiums einen anderen Ansatz gewählt. Es gibt keinen Grundkurs, keine Gehirnwäsche, sondern die Aufforderung: nutzt alles, was ihr habt, alles was euch erreichbar ist! Das Leben ist zu kurz, um alles gründlich zu lernen, was gelehrt werden kann. In Zeiten rascher Veränderung braucht man Generalisten. Wir müssen einen konzeptuellen Zugang einüben und stärken. Erst wenn das Konzept stimmig ist, werden die zur Durchführung nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse erworben, sei es individuell, sei es indem man sich zur Unterstützung die nötigen Experten holt. Lösungen für bekannte Probleme helfen nicht bei neuen, ungelösten Problemen. Unser Projektstudium widmet sich jeweils einem solchen offenen Problem.
Zu den wichtigen Themen mit denen wir uns heute auseinanderzusetzen haben zählt die Informationsökonomie. Heute leiden wir nicht mehr unter einem Mangel an brauchbaren und funktional gestalteten Objekten, sondern eher unter einem Überfluss. Wir zahlen nicht so sehr für Dinge, die wir besitzen wollen, sondern für Access, den temporären Zugang. Wir beziehen die Filme, Musik, Computerspiele, Informationen usw. die wir gerade haben wollen über Streamingdienste. Die klassische Werbung existiert nicht mehr.
Unsere Ängste haben sich ebenfalls gewandelt. Statt wie seinerzeit mit der Inflation, Massenarbeitslosigkeit, mit gewalttätigen politischen Auseinandersetzungen und mangelnder Grundversorgung müssen wir uns mit Themen auseinandersetzen wie: Globalisierung, Umweltschutz, Klimaerwärmung, Genmanipulation, Wanderungsbewegungen, religiöser Fundamentalismus, der Umgang mit dem Internet, mit den fake news und so weiter und so fort. Unsere neuen Techniken und Produktionsmittel wie die Künstliche Intelligenz, Laser, 3-d-Drucker, Nanotechnologie, Genscheren, eye-tracking, neuro-advertising et cetera sind mit einer Rückkehr zum Handwerk ebenfalls nicht in den Griff zu kriegen.
Kreativität, Offenheit, Neugier, Aufgeschlossenheit, und Bereitschaft zur Innovation bilden inzwischen nicht mehr ein Vorrecht der sogenannten kreativen Berufe, sondern sind geradezu Menschenpflicht geworden. Kreativität wird auch von Bankern, CEOs, Fußballtrainern, Arbeitslosen und eigentlich jedermann eingefordert. Wir erfahren ob wir wollen oder nicht den Zwang zum lebenslangen Lernen. Ein Rentner hat die Fähigkeiten, die er braucht, um im Alltag zurecht zu kommen – denken sie an GPS, Pin, Tan, W-Lan, SMS oder Cloud – keineswegs in der Schule lernen können. Kreativität, von der am alten Bauhaus bei aller Innovationsbereitschaft so gut wie nicht geredet wurde, gilt heute als notwendige Überlebensstrategie. Ohne Kreativität, ohne eine ausreichende Innovationsrate ist es, wie man uns sagt, vorbei mit dem Wachstum und dem Wohlstand. Man mag die Marktwirtschaft tadeln, die davon lebt, immer wieder Neues zu produzieren, aber der exponentielle Zuwachs an Information dürfte für diesen Zwang zur permanenten Kreativität noch ausschlaggebender sein.
Über das Schicksal einer kreativen Idee entscheidet zunächst einmal ihre Realisierung. Es gibt entschieden mehr gute Ideen als Realisierungen guter Ideen. Aber auch eine realisierte gute Idee reicht nicht. Sie muss rezipiert und implementiert werden, was bedeutet, dass sie von den Nutzern für nützlich, oder schön oder sonst wie wertvoll gehalten wird. Eine Idee darf daher auch nicht zu kreativ, zu neuartig sein, damit sie von der Mehrheit überhaupt an- und aufgenommen werden kann. Schließlich überfordert und ängstigt der Zwang zur Veränderung viele Menschen. Wie die Evolution lehrt, ist zur Verbreitung von Neuerungen eine gewisse Isolation nötig. Ideen müssen sich erst in kleinen Gruppen durchsetzen und bewähren. Innerhalb einer komplexen Gesellschaft gibt es dafür die Schicht der Progressiven, Modischen oder auch Avantgardisten. Hier kommt wieder die „Gaswerk Design und Projektwerkstatt“ ins Spiel. Der Ort an dem wir uns befinden, erfüllt nämlich gerade eine solche Funktion des Ideenaustausches wie sie früher vielleicht dem Kaffeehaus zukam. Er bietet einer zeitgenössischen Bohème, einer experimentellen Subkultur oder einer Kreativwirtschaft, wo Ideen getestet werden, den nötigen Raum.
Aus Zeitgründen kann ich nicht auf einzelne der hier gezeigten Werke eingehen. Ich will aber im Sinne der angewandten Kreativtechniken auf einige Motive hinweisen, die zeigen, dass diese Werke aus dem 21. Jahrhundert stammen. Die Ironie wurde bereits erwähnt. Ironie kannten die Bauhäusler abgesehen von Paul Klee so gut wie nicht. Nie wurde intendiert, etwas durch sein Gegenteil auszudrücken oder etwas zu zitieren, das nicht wörtlich gemeint ist, sondern sozusagen eingeklammert. Die Ironie ist aber ein Stilmittel, das nur dem Menschen zu eigen ist. Die Emotionswelt der Schimpansen und Bonobos unterscheidet sich nur recht wenig von der der Menschen, aber Ironie ist ihnen fremd. Mit Ironie sind eigene neue Bedeutungsebenen möglich. Sie fiktionalisiert, eröffnet Zwischenwelten und ist die Waffe der Schwächeren gegenüber dem gemeinen Zwang der realen Welt.
Die heute verbreitetste Kreativtechnik – auch bei den hier gezeigten Werken – ist das Remix. Es wird etwas kopiert, mehr oder weniger verändert, verzerrt, transformiert und dann in einen neuen Kontext überführt. Auch hier schimmern Zitate durch. Zwar ist diese Technik im Prinzip nicht eigentlich neu, sie hat aber durch die technischen Gegebenheiten der Digitalisierung einen kräftigen Schub erhalten und ihre Spezifik erweitert. Das Moment der Überraschung und des Neuen liegt in der Kontextverschiebung und damit erzielten Verfremdung. Dazu muss man ein bekanntes Element so sehen, als sähe man es zum ersten Mal. Der Fachausdruck dafür ist vuja de, also die Umkehrung des déjà vu. Man kann darin eine Sonderform der Metapher sehen.
Metaphern sind als Kreativitätstechnik so alt wie die menschliche Sprache. Wir können nicht denken ohne sie und brauchen sie, um überhaupt irgendetwas Neues ausdrücken zu können. Metaphern veralten aber, verlieren ihre Wirksamkeit und müssen ständig erneuert und an die neuen Umstände angepasst werden. Laut Steve Jobs – creativity is just connecting things – geht es dabei um das Verschmelzen heterogener Elemente. Jobs Definition ist aber unvollständig, denn die Ausgangselemente müssen zu einer neuen Einheit gebracht werden, ähnlich wie bei einem guten Witz. Erst wenn es zu einem Aha-Erlebnis oder Heureka-Erlebnis führt, war die Verbindung unterschiedlicher Elemente erfolgreich. Die Natur hat, um die Kreativität zu steigern und die Evolution zu beschleunigen, den Sex zwischen unterschiedlichen Partnern erfunden. Beim menschlichen Vermögen Metaphern zu bilden handelt es sich – Matt Ridley folgend – um so etwas wie Sex zwischen Ideen. Manchmal funkt es und es entsteht aus einem Fahrradlenker und einem Fahrradsattel ein Stierkopf. Metaphern schaffen neue Bedeutungen, neue Perspektiven, neue Möglichkeiten des Gebrauchs. Sie beleben und konkretisieren und machen etwas einprägsam.
Was also ist an den gezeigten Werken neu und kreativ? Sie weisen im Gegensatz zum alten Bauhaus, das im Wesentlichen aus formalen Elementen wie Grundfarben und –formen neue Kombinationen schuf, eine weit größere Breite und Vielfalt der Grundbausteine auf, die Sex miteinander haben, d.h. verschmolzen und kombiniert werden. Heutzutage sind wegen der Digitalisierung die unterschiedlichsten Gattungen, Sparten und Kategorien untereinander kompatibel und dank FAANG (=Facebook, Amazon, Apple, Netflix und Google) miteinander vernetzt und global verfügbar. Unterschiede nicht allein formaler, sondern auch sozialer, psychologischer, ideologischer Art können mühelos verknüpft und gegeneinandergestellt werden. Kennzeichnend ist schon die Vielfalt der auf der Ausstellung hier vertretenen hybriden Gattungen im Sinne der Postmedialität. In vielen Werken sind die Unterscheidungen zwischen bewegten und unbewegten Bildern, Bild und Ton, oder Hochkultur und Popkultur ebenso wie das Nachahmungsverbot und das Verbot narrativer Elemente seit langem aufgehoben. Allerdings hatte das alte Bauhaus mit seiner Beschränkung so etwas wie eine corporate identity, einen erkennbaren Stil geschaffen, auch wenn Gropius sich alle Mühe gab, dies zu verneinen. Aber die hier gezeigten Künstler sehen ihre Aufgabe nicht darin einen Stil zu schaffen, der für eine Gesinnung steht. Wenn’s doch so aussieht, war’s ironisch.
Ehe ich schließe und ihnen den üblichen fetten Spaß beim Betrachten der Werke wünsche, muss ich ihnen aber noch zwei Sätze zum Bedenken mitgeben. Kreativität wird nämlich nicht nur vom hervorbringenden Künstler oder Gestalter verlangt, sondern ist auch ein Bestandteil der Rezeption. Der Anteil des Betrachters, also sein Anteil beim Assimilieren, sich-zu-eigen-Machen, Bewerten oder Verwerfen der Emotionen, die das Gebotene auslöst, erfordert ebenfalls einen kreativen Zugang. Sie werden das sicher schaffen.
Chapeau den Veranstaltern und Chapeau vor allem den Künstlern, von denen sie die meisten in ein paar Minuten hier auf der Bühne sehen werden! Damit bin ich am Ende und danke fürs Zuhören.